BGH vom 08.02.2017 – XII ZB 604/15 – Voraussetzungen einer für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bindenden Patientenverfügung

Voraussetzungen einer für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bindenden Patientenverfügung:

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit den Anforderungen befasst, die eine bindende Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen muss. Im entschiedenen Fall hatte das Amtsgericht den Antrag der durch ihren Sohn vertretenen, sich nach einem Schlaganfall in einem wachkomatösen Zustand befindlichen Betroffenen auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abgelehnt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen.

Das Beschwerdegericht habe sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob sich der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung entnehmen lässt. Es müsse feststellen, ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf die in ihrer Patientenverfügung konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft. Sollte dies nicht der Fall sein, habe das LG erneut zu prüfen, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. Entscheidend ist dabei, wie die Betroffene selbst entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen. Nach dem Diktum des BGH muss ein Betroffener die einzelnen medizinischen Maßnahmen, die er im Krankheitsfalle nicht wünscht sowie die näheren Umstände und gesundheitlichen Voraussetzungen, die konkreten Behandlungssituationen, unter denen er keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht, möglichst konkret benennen (vgl. BGH, Beschluss v. 6.7.2016, XII ZB 61/16).

Entscheidend ist die Formulierung der Patientenverfügung

Im entschiedenen Fall folgt der Wille der Betroffenen nach Auffassung des BGH in erster Linie aus der Patientenverfügung aus dem Jahre 1998. Darin habe die Frau verfügt, sie wünsche dann keine lebenserhaltenden Maßnahmen, wenn „keine Hoffnung auf Wiedererlangung des Bewusstseins“ besteht. Dieser für die Betroffene wichtigen Frage, ob eine solche Hoffnung realistischerweise besteht, seien die Vorinstanzen aber nicht nachgegangen. Nach dem Willen der Betroffenen sei dies das entscheidende Kriterium für die Feststellung ihres Sterbewillens. Deshalb müsse sich das LG mit dem Fall erneut befassen und diese Frage sorgfältig prüfen. Vorrangiges Kriterium: Wie würde die Betroffene selbst entscheiden?

Darüber hinaus habe das LG bei der Feststellung des Sterbewillens
die früheren Äußerungen der Frau in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis, ihre ethischen und religiösen Überzeugungen sowie sonstigen Wertvorstellungen zugrunde zu legen. Entscheidend ist es nach Auffassung des Senats, dass das LG endlich der Frage nachgeht, wie würde die Betroffene selbst entscheiden, wenn sie hierzu noch in der Lage wäre.

Im Ergebnis hat der BGH damit dem LG die Klärung einer Reihe weiterer Fragen zugewiesen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in nicht unerheblichen Umfang weitere Zeit in Anspruch nimmt. Angesichts der Tatsache, dass die Betroffene sich in einer medizinischen Versorgungslage befindet, die sie nach allen bisherigen Erkenntnissen nach Möglichkeit vermeiden wollte, muss die Frage erlaubt sein, ob der vom BGH priorisierte Wille der Betroffenen hier tatsächlich im Vordergrund steht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2017 – XII ZB 604/15

Arzthaftung – Aufklärung

8.000 € Schmerzensgeld wegen mangelhafter Aufklärung vor Sprunggelenks-OP
Ein „Orientierungsgespräch“ mit dem Arzt, das mehr als sechs Monate vor einer Operation stattfindet, stellt wegen des erheblichen zeitlichen Abstands unabhängig von seinem Inhalt keine ausreichende Aufklärung dar. Bei einem zeitlichen Abstand von mehr als sechs Monaten ist nach der Lebenserfahrung nicht mehr davon auszugehen, dass dem Patienten die Vor- und Nachteile sowie die Risiken eines Eingriffs noch gegenwärtig sind.

Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 15.11.2016 – 4 U 507/16
– veröffentlicht unter www.juris.de –

Heilmittel-Richtlinie Zahnärzte mit einem eigenen Heilmittel-Katalog

Beschluss des G-BA vom 15.12.2016; nun gibt es auch für die vertragszahnärztliche Versorgung künftig eine Heilmittel-Richtlinie Zahnärzte mit einem eigenen Heilmittel-Katalog. Bei krankheitsbedingten strukturellen oder funktionellen Schädigungen des Mund-, Kiefer oder Gesichtsbereichs dürfen Zahnärzte bestimmte Maßnahmen der Physiotherapie, der Physikalischen Therapie oder der Sprech- und Sprachtherapie verordnen. Die neue Richtlinie gliedert sich in zwei Teile. Ein allgemeiner Teil regelt die grundlegenden Voraussetzungen zur Verordnung von Heilmitteln durch Vertragszahnärzte. Der zweite Teil umfasst den Heilmittelkatalog. Er ordnet einzelnen medizinischen Indikationen das jeweilige verordnungsfähige Heilmittel zu, beschreibt das Ziel der jeweiligen Therapie und legt die Verordnungsmengen im Regelfall fest.

Der Beschluss über die neue Richtlinie wird dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger, aber nicht vor dem 01.07.2017, in Kraft.

Beschlusstext, tragende Gründe:
https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/2814/