Zur Abgrenzung zwischen einem ärztlichen Befunderhebungsfehler und einem Fehler der therapeutischen Aufklärung

1. Wenn ein hausärztlicher Internist einen stark übergewichtigen Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes und einer Störung des Fettstoffwechsels im Zusammenhang mit mehreren (Folge-) Untersuchungen mit Blutentnahme, EKG und Belastungs-EKG bei der Empfehlung weiterer Befunderhebungen nicht über ein bestehendes Herzinfarktrisiko aufklärt, liegt darin zwar ein Behandlungsfehler. Die Frage, ob dieser Behandlungsfehler als grob zu werten ist, unterliegt aber der gesonderten Beurteilung im Einzelfall. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das sachverständig beratene (Berufungs-)Gericht vor dem Hintergrund des gesamten Behandlungsgeschehens, das einem Patienten bereits aus sich heraus die Notwendigkeit der empfohlenen diagnostischen Maßnahmen vermitteln konnte, einen groben Behandlungsfehler verneint hat.

2. Damit kommt den klagenden Erben des zwischenzeitlich verstorbenen Patienten keine Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Tod des Patienten zugute. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt eines Befunderhebungsfehlers. Zwar kann auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen […]. Vorliegend hat das (Berufungs-)Gericht aber das Unterlassen einer Aufklärung über die Dringlichkeit der weiter angeratenen diagnostischen Maßnahmen rechtsfehlerfrei nicht als Befunderhebungsfehler, sondern als (im Streitfall einfachen) Fehler im Rahmen der therapeutischen Aufklärung gewertet, welcher eine Beweislastumkehr nicht begründen kann.

3. Unterlässt es ein Arzt, den Patienten über die Dringlichkeit der – ihm ansonsten zutreffend empfohlenen – medizinisch gebotenen Maßnahmen zu informieren und ihn vor Gefahren zu warnen, die im Falle des Unterbleibens entstehen können, liegt grundsätzlich ein Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung des Patienten vor […]. Denn in diesen Fällen liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ärztlichen Fehlverhaltens regelmäßig nicht in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher, sondern in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolgs.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2015 – VI ZR 476/14
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