Vertragsärztliche Versorgung – Honorar- bzw. Abrechnungsprüfung (sachlich-rechnerische Richtigstellung) Ansatz der sog Unzeitgebühr (GOP 01100 EBM-Ä 2008 – „unvorhergesehene“ Inanspruchnahme (des Vertragsarztes durch einen Patienten), BSG, Urteil vom 15. Juli 2020 – B 6 KA 13/19 R –, SozR 4 (vorgesehen)

Klarstellung durch BSG [zugleich pro Arzt und gegen KVB bzw. bayerisches LSG] über einen lange strittigen Punkt der Abrechnung mit erheblicher Bedeutung für die Ärzte:

BSG aaO.: Allein der Umstand, dass tätige Ärzte für die operierten Patienten über eine Mobiltelefonnummer rund um die Uhr erreichbar waren, hat nicht zur Folge, dass die Inanspruchnahme der Ärzte durch die Patienten generell nicht mehr als „unvorhergesehen“ iS der Leistungslegende der GOP 01100 EBM-Ä anzusehen wäre.

Die Herausgabe einer Notfalltelefonnummer an Patienten diene nur dazu , „das letzte Restrisiko auszuschließen“. Diese Notfalltelefonnummer müsse „in der Regel nur sehr selten benutzt“ werden. Vor diesem Hintergrund kann die Gewährleistung der telefonischen Erreichbarkeit nicht mit der Abhaltung einer Sprechstunde oder einer anderen geplanten und organisierten ärztlichen Tätigkeit gleichgesetzt werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe der Telefonnummer auf der Internetseite der Praxis. Ausschlaggebend ist, dass die Klägerin die Patienten auch über ihre Internetseite nicht zu einer Inanspruchnahme außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten aufgefordert hat. Vielmehr sollte den Patienten und auch den mit der Klägerin zusammenarbeitenden Operateuren ersichtlich die Sicherheit vermittelt werden, dass sie die Klägerin beim Auftreten von Komplikationen erreichen können.

Allein dies steht einer „unvorhergesehenen Inanspruchnahme“ iS der GOP 01100 EBM-Ä noch nicht entgegen.

Es kommt es für die Abrechenbarkeit der GOP 01100 EBM-Ä nicht darauf an, ob der Arzt von dem Patienten in einem Zeitraum in Anspruch genommen worden ist, der arbeitszeitrechtlich als Arbeitszeit zu bewerten war.

Kürzere Prüffristen durch TSVG – Ausschluss einer späteren Rückforderung ggfls. bereits nach zwei Jahren

Gesetzliche Festlegung einer Ausschlussfrist für Prüfungen, Änderungen durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), in Kraft getreten am 11. Mai 2019

Wichtige Änderungen für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer/Ärzte:

Sowohl im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfungen (vgl. §§ 106, 106 a – 106c iVm 12 SBG V, gemeinsame Selbstverwaltung) wie auch Abrechnungsprüfungen (vgl. § 106 d SGB V, sog sachlich-rechnerische Berichtigung) müssen die Festsetzung einer Kürzung für unwirtschaftliche ärztliche Leistungen nunmehr grs. innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheids erfolgen.

Wirtschaftlichkeitsprüfung
§ 106 Abs. 3 Satz 3 SGB V neu eingefügt durch das TSVG:

Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend.“

Dies könnte – nach Prüfung etwaiger Ausschlusstatbestände, vgl. unten – zu Verfahrenseinstellungen aus formellen Gründen führen, da bereits die Lieferung der zu prüfenden Daten teilweise deutlich länger als ein halbes Jahr dauert. Ferner wurde die Zufälligkeitsprüfung, die bisher mindestens 2% der Ärzte je Quartal umfassen musste, geändert: sie erfolgt nur noch auf begründeten Antrag einer einzelnen Krankenkasse, mehrerer Krankenkassen gemeinsam oder der Kassenärztlichen Vereinigung, § 106a Abs. 1 S. 1 SGB V.

Abrechnungsprüfung (sachl.-rechnerische Richtigstellung)

Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität, auf Einhaltung der Vorgaben nach § 295 Absatz 4 Satz 3 sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten, vgl. § 106 d Abs. 2 S. 1 SGB V.


§ 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V neu eingefügt durch das TSVG:

Die Maßnahmen, die aus den Prüfungen nach den Absätzen 2 bis 4 folgen, müssen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides festgesetzt werden; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend.“

Damit halbiert das TSVG die vom Bundessozialgericht entwickelte, bislang geltende Ausschlussfrist von vier Jahren.  Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Regelungen grs. erst auf Honorarbescheide (HonB) anwendbar sind, die nach Inkrafttreten des TSVG ergangen sind, vgl. dazu BSG, Urteil vom 15. Mai 2019 – B 6 KA 63/17 R: Eine Übergangsbestimmung, die die rückwirkende Geltung anordnet, enthält das TSVG nicht; im Gegenteil wird in der Begründung des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drucks 19/8351 S 196 – zu Nr 59) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verkürzung der Ausschlussfrist allein für Honorarbescheide gelte, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erlassen werden.“

Bezüglich davor ergangener Honorarbescheide verbleibt es somit bei der vierjährigen Ausschlussfrist. Nach der Rechtsprechung des BSG bleibt das Regressrisiko jedenfalls bei sachl.-rechnerischer Richtigstellung für Honorarbescheide aus den Vorjahren 2016 – 2018 noch bestehen, bis die Vierjahresfrist für den letzten Honorarbescheid vor Inkrafttreten des TSVG am 11.05.2019 abgelaufen ist.

Anm.: Wg. der [unabhängig von Ausschlussfristen nach 2 bzw. 4 Jahren] für die KVen gegebenen Möglichkeiten, auch noch nach deren Ablauf („länger“) regressieren zu können, z.B. bei Vorliegen von Vertrauensausschlusstatbeständen des § 45 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Abs. 4 S. 1 SGB X o.a., vgl. BSG, Urt. v. 24.10.2018, B 6 KA 34/17 R: Eine Rücknahme des Honorarbescheides ist jedoch unter Berücksichtigung der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X auch nach Ablauf der Frist möglich (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R – juris Rn. 29).

Anm.: zur Verkürzung der Ausschlussfrist für die Richtgrößenprüfung von vier auf zwei Jahre durch das GKV-WSG vom 26.3.2007; BSG Urteil vom 28.10.2015 – B 6 KA 45/14 R – SozR 4-2500 § 106 Nr 53 RdNr 23)
(BSG, Urteil vom 15. Mai 2019 – B 6 KA 63/17 R –, SozR 4-2500 § 106a Nr 23, Rn. 34)


Plausibilitätsprüfung – Neufestsetzung der Honorare auf Grundlage der ärztlichen Leistungen

BSG B 6 KA 9/18 R

nach LSG München, Urteil v. 17.01.2018 – L 12 KA 123/16

Umstritten sind Honorarberichtigungen für die Quartale 4/2007 bis 2/2009 in der Folge von Plausibilitätsprüfungen. Die Klägerin ist Trägerin eines MVZ, in dem ab dem Quartal 4/2007 zwei zugelassene Vertragsärzte mit vollem Versorgungsauftrag sowie zwei jeweils auf einer halben Stelle beschäftigte Ärzte (Frau I. und Herr Dr. B.) tätig waren.

Die beklagte KÄV prüfte anhand von Quartalszeitprofilen die Abrechnungen der Klägerin und teilte ihr mit, dass die angestellten Ärzte ihren genehmigten Tätigkeitsumfang überschritten hätten. Die Klägerin machte geltend, dass die Ärzte vorübergehend andere im MVZ tätige Ärzte wegen Krankheit und Urlaub vertreten hätten. Im Widerspruchsbescheid berichtigte die Beklagte die Honorarbescheide für alle betroffenen Quartale in der Weise, dass sie bei den auf einer halben Stelle beschäftigten Ärzten (vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 19,25 Stunden) eine zulässige Quartalsarbeitszeit von 260 Stunden (13 Wochen x 20 Stunden) zugrunde legte und lediglich die innerhalb der Dreimonatsgrenze des § 32 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV erbrachten Vertretungen honorierte. Eine Genehmigung nach § 32 Abs 2 Satz 5 Ärzte-ZV sei nicht beantragt worden.

Der dagegen gerichteten Klage hat das SG dahingehend stattgegeben, dass bei auf einer halben Stelle beschäftigten Ärzten eine Quartalsarbeitszeit von 390 Stunden zulässig sei. § 32 Ärzte-ZV sei anwendbar, da ein MVZ nicht mit einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) vergleichbar sei.

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des LSG können Zeiten der internen Urlaubs- oder Krankheitsvertretung im Umfang von mehr als 3 Monaten innerhalb von 12 Monaten im Rahmen der Plausibilitätsprüfung nicht zugunsten des klagenden MVZ berücksichtigt werden.

Ein Anspruch auf Vergütung besteht nur für vertragsärztliche Leistungen, die in Übereinstimmung mit den maßgebenden rechtlichen Bestimmungen erbracht worden sind. Zu beachten sind dabei auch Inhalt und Umfang der Anstellungsgenehmigungen, die einem MVZ personenbezogen und mit festgelegten Wochenstundenzahlen erteilt werden.

Daraus folgt im Grundsatz, dass Leistungen, die angestellte Ärzte außerhalb des in der Anstellungsgenehmigung festgelegten zeitlichen Rahmens erbracht haben, nicht rechtmäßig erbracht sind und dass dem MVZ hierfür auch keine Vergütung zustehen kann.

Nach § 106a Abs. 2 Satz 2 SGB V (alte Fassung; heute unverändert als § 106d Abs. 2 Satz 2 SGB V) sind Vertragsärzte und angestellte Ärzte bezogen auf die Plausibilitätsprüfung entsprechend des jeweiligen Versorgungsauftrages gleich zu behandeln. Ärzte mit voller Zulassung werden bei Überschreitung eines Quartalszeitprofils von 780 Stunden auffällig. Dementsprechend werden Ärzte mit halber Zulassung bei Überschreitung von 390 Stunden auffällig. Darüber hinaus ist dem MVZ die Möglichkeit zu geben, ua in Fällen von Krankheit oder Urlaub die Versorgung der Versicherten in entsprechender Anwendung von § 32 Abs 1 Ärzte-ZV auch durch interne Vertretungen aufrechtzuerhalten. Bei Vorliegen einer der genannten Verhinderungsgründe bedarf es bis zu einer Vertretungsdauer von drei Monaten innerhalb von 12 Monaten keiner Genehmigung.

Außerhalb des genannten zeitlichen Rahmens ist eine über den genehmigten Umfang hinausgehende Beschäftigung von angestellten Ärzten von einer Genehmigung durch die KÄV abhängig, die nicht rückwirkend erteilt werden kann.