Sind Behandlungsunterlagen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn datenschutzfremde, insbesondere arzthaftungsrechtlicher Ansprüche verfolgt werden?

Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 29.03.2022, Az. VI ZR 1352/20

Nach § 630g Abs. 2 S. 2 BGB trägt der Patient die entstandenen Kosten für die elektronische Abschrift der Patientenakte.
Nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO muss die Herausgabe der Erstkopie der personenbezogenen Daten für den Betroffenen kostenfrei erfolgen.

Die Frage, ob Behandlungsunterlagen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen sind, wenn datenschutzfremde, insbesondere arzthaftungsrechtlicher Ansprüche verfolgt werden, ist nicht abschließend geklärt, sondern Gegenstand einer Vorlage des BGH, 6. Zivilsenat – Az. VI ZR 1352/20, zum EuGH: Vorlage vom 29.03.2022.

BGH: Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes auch in der Arzthaftung

BGH v. 08.02.2022 – Az.: VI ZR 409/19:

Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen kann der Gesichtspunkt der Genugtuung nicht grundsätzlich außer Betracht bleiben. Auch wenn bei der ärztlichen Behandlung das Bestreben der Behandlungsseite im Vordergrund steht, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, stellt es unter dem Blickpunkt der Billigkeit einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes – möglicherweise die Grenze zum bedingten Vorsatz berührendes – Verschulden zur Last fällt oder ob ihn nur ein geringfügiger Schuldvorwurf trifft. Ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler kann dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben.

hier: zweistündige Verzögerung einer unverzüglich durchzuführenden Herzkatheter-Untersuchung

Geringe Anforderungen an Patientenvortrag bei hypothetischer Einwilligung

Beruft sich der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin im Falle einer fehlerhaften Eingriffsaufklärung darauf, dass der Patient bzw. die Patientin auch im Falle einer zutreffenden Aufklärung in die betreffende Maßnahme eingewilligt hätte („hypothetische Einwilligung“), so trifft ihn/sie die Beweislast für diese Behauptung, wenn der Patient bzw. die Patientin zur Überzeugung des Tatrichters/der Tatrichterin plausibel macht, dass er bzw. sie – bei ordnungsgemäßer Aufklärung – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Dabei dürfen an die Substantiierung des Patient(inn)envortrags allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Darüber hinausgehend muss der Patient bzw. die Patientin jedenfalls nicht plausibel machen, dass er bzw. sie sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden hätte.
Im entschiedenen Fall sah der BGH bei einer Abwägung des geringeren Risikos für Nervenschäden gegenüber dem Nachteil stärkerer Schmerzen und stärker eingeschränkter Mobilität einen echten Entscheidungskonflikt gegeben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2021 – VI ZR 277/19